Nationalgalerie Berlin

1967 – drei Jahre nach seinem letzten Engagement für die documenta – wurde Werner Haftmann Gründungsdirektor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, die 1968 in den Neubau Ludwig Mies van der Rohes einzog. 1974 schied Haftmann aus der Nationalgalerie aus.

“Als ich die Leitung der Sammlung übernahm, war eben das Sockelgeschoss im Rohbau fertiggestellt. Meine ganze anfängliche Arbeit war darauf gerichtet, den Neubau in statu nascendi genauestens kennen zu lernen, die Vorstellungen des Architekten zu begreifen und aus diesen Gegebenheiten und der eigenen Vorstellungskraft die Eröffnung des Neubaus vorzubereiten. (…)

Der Bau ist ein großartiges Stück Architektur. Er ist selbst das erste Kunstwerk, das die Nationalgalerie vorzuzeigen hat. (…)

Das Haus ist unbestechlich. Es demaskiert jedes schlechte Bild und protestiert gegen jede Unzulänglichkeit der Hängung.”
(zitiert nach: “Nationalgalerie 1967-1974. Ein Rückblick”, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz XII - 1974/75, S. 36)

Die “kreative Funktion” des Museums

Nach Haftmanns Vorstellung hatte die kreative Funktion des Museums darin zu bestehen:

Die Situation der Sammlung

Haftmann auf einem Sessel Werner Haftmann während der Berliner Jahre

Jedoch konnte bei Haftmanns Antritt im Jahr 1967 “von einer derartigen Herauszeichnung der Grundmuster in der Kunstentwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts keine Rede mehr sein. Die Nationalgalerie war ein verstümmelter Torso. Ihre innere Struktur war weitgehend zerstört. (…) Völlig entmutigend war der Bestand an Werken des 20. Jahrhunderts.” (Jahrbuch 1974/75, S. 34 – s.o.)

Die berühmte, von Hugo von Tschudi und Ludwig Justi aufgebaute Sammlung war 1937 im Bildersturm der Nazis durch die Aktion Entartete Kunst zerstört worden und die Bilder in alle Welt verstreut. Trotz eines sehr geringen Ankaufetats (die Situation besserte sich erst durch die Hilfe der Stiftung Deutsche Klassenlotterie und ab 1977 durch die Freunde der Nationalgalerie) gelang es Haftmann in kurzer Zeit mit wichtigen Erwerbungen und großen Ausstellungen, die Nationalgalerie wieder international zu profilieren.

Ausstellungen

Zu jenen Berliner Ausstellungen, die Werner Haftmann im Rückblick am wichtigsten erschienen, gehörten [1969:] Ernst Wilhelm Nay [1971:] Otto Meyer-Amden | Naum Gabo | Marc Rothko [1972:] William Turner | Marc Chagall | Willi Baumeister [1973:] Pablo Picasso | Oscar Schlemmer | Wols | Wilhelm Lehmbruck [1974:] Julius Bissier | Antoni Tàpies.

Die zugehörigen Katalogtexte übernahm Haftmann 1980 für seinen zweiten Sammelband Der Mensch und seine Bilder (siehe auch Literaturverzeichnis).

Die Nationalgalerie als politischer Ort

Im Zuge der 68er-Bewegung der APO – mit aufflammenden Deklamationen um die Demokratisierung des Museums – kam es zu politischen Ausschreitungen. Haftmann schrieb: die eingeschlagenen Fensterscheiben der Nationalgalerie waren Zeugen der Mittel, die auch eingesetzt wurden (Abschiedsrede in der Nationalgalerie am 30. September 1974, Manuskript im Nachlass).

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